Weihnachten via Internet

Es ist Anfang November.

Gleichmäßig trommelt der Regen gegen die Fensterscheiben, in denen sich nur das Flackern des Bildschirmes von Evas Rechner spiegelt.

Es ist spät und wieder einer der Abende, an denen sie ein Stück weit dem Alltag ins Netz entflieht.

Das leise Klacken der Tastatur trägt sie zu Freunden, die sie noch nie im Leben gesehen hat.

Sie chattet.

Schreibt sich mit Normen, der ihr auch heute wieder zuhört und ihre Ängste nimmt.

Sie hat Angst.

Angst vor Weihnachten und Angst vor dem, was noch kommen wird.

Neben dem Bildschirm stapelt sich die Post. Ungeöffnete Rechnungen verschwinden unter Werbeprospekten.

Als sie sich eine neue Zigarette anzündet, leuchtet kurz das Bild auf ihrem Schreibtisch auf.

Felix.

Klare braune Augen schauen spitzbübisch aus weichem Kindergesicht. Die Haare verstrubbelt und in alle Richtungen stehend.

Felix. 11 Jahre alt und ihr ein und alles.

Bald ist Weihnachten. Die Zeit der Wünsche und Träume. Noch weiß sie allerdings nicht, wie sie auch nur einen erfüllen soll.

Seit Monaten ist Eva krank. Das Geld fehlt an allen Ecken und Kanten. Sie spart, dreht jeden Pfennig zweimal um.

Und doch gibt es eines, was sie sich und Felix gönnt.

Das Internet.

Ihre zweite (einfachere) Welt...sein Tor der Entwicklung, Faszination und Informationsquelle.

Als es Eva noch besser ging, kaufte sie sich Anfang des Jahres einen neuen Rechner und Felix bekam zu seinem Geburtstag ihren alten Computer. Oder das, was sich Computer nannte. Ein Pentium I mit 133 Mhz und 16 MB Speicherkapazität.

Seit langem überlegte Eva, wie sie es irgendwie finanzieren könnte, diesen Rechner etwas aufzurüsten, damit Felix einfach ein wenig mehr Freude an ihm hätte.

Heute brachte Normen sie auf die rettende Idee.

"Versuchs doch einfach mal bei den Overclockern. Dort findest Du wirklich die ganz Verrückten aus der Cyberwelt. Junge User, die ihre Kisten tunen und wirklich alle Tricks kennen, um das Letzte aus ihrem Computer herauszuholen. Schreib was ins Forum und frag doch mal, ob jemand preiswert Teile für deinen alten Rechner verkaufen möchte."

Kurze Zeit später surfte Eva auf diese Seiten und war einfach nur fasziniert. Hätte ihr vorher jemand erzählt, dass man seinen PC mit Wasser kühlen kann, hätte sie vor ihrem Auge eine dampfende Waschschüssel mit kleinen Goldfischen gesehen, wo kleine Welse einen Monitor knutschten.

Obwohl sie sich fast nicht traute, schrieb sie einen Beitrag im Forum Suche/Biete/Tausche.

"Bitte nicht lachen, aber ich suche für einen ganz alten Rechner preiswert ein paar Bausteine, um ihn für meinen Sohn etwas aufzurüsten."

Als sie später im Bett lag, dachte sie noch einmal über ihre Anzeige nach. Wahrscheinlich würden sich alle lustig machen oder ihr, als technisch unbegabtes Weibchen, lauter Schrott für Wahnsinnsgeld anbieten. Denn was sie suchte, galt in diesen Kreisen als Antiquitäten.

Am nächsten Abend startete Eva wie gewöhnlich ihren Rechner und fragte über ihr Mailprogramm ihre Nachrichten ab. Und sie glaubte, ihren Augen nicht trauen zu können.

68 Benachrichtigungen aus dem Forum über Beiträge zu ihrer Anzeige.

Eine knappe Stunde später schwirrte ihr der Kopf. Technische Details wechselten sich mit Spott und Hohn ab.

Unter einen Beitrag, in dem sie ein User doch darauf hinwies, dass sie ihrem Sohn lieber einen neuen Rechner kaufen sollte und diesen verschrotten könnte, schrieb sie auch ziemlich gefrustet eine Antwort: "Würde ich ja gern. Da ich aber nur Krankengeld bekomme, ist das nicht möglich. Zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel."

Traurig schaltete sie den Rechner aus und schlich sich in Felix´ Zimmer.

Eingekuschelt unter seiner Decke, hielt er immer noch das Buch von Harry Potter fest. Leise hörte sie seinen Atem und schaute ihn traurig an.

Sie musste reden.

Aber mit wem?

In der Hoffnung, dass Normen noch online sein könnte, fuhr sie ihren Computer noch einmal hoch und fand ihn dann auch.

Sie chattete eine Weile mit ihm und wollte eigentlich dann wirklich ins Bett gehen, als sie der Ton ihres Mailprogramms über eine eingegangene Nachricht informierte.

Obwohl Eva keine Lust mehr auf die geistigen Ergüsse eines Computerfreaks hatte, öffnete sie doch die Nachricht.

Sie kannte den Absender nicht und wunderte sich auch über den Inhalt der Mail. Keine Anrede und nur ein einfacher Satz: "Vielleicht freust Du Dich ja."

Am Ende der Nachricht war noch eine Verlinkung ins Forum der Overclocker angegeben.

Als sie dann auf den Seiten war, glaubte sie kaum, was sie dort las.

" Aufruf an Alle! Lasst uns diese Sache gemeinsam anpacken und der Eva und dem kleinen Felix helfen. Wenn jeder von uns etwas dazugibt, sollte es uns doch wohl gelingen, diesem Burschen einen fast neuen Rechner unter den Weihnachtsbaum zu zaubern, oder?"

Mit Tränen in den Augen las sie die Antworten der anderen. 200 Beiträge von Usern, die bereit waren, ihr zu helfen.

Fassungslos starrte sie auf den Bildschirm.

Mit zitternden Händen schrieb sie dem unbekannten Absender dieser Mail eine Antwort.

Nur zwei Worte... "Danke Cyberritter!"

Nur 24 Stunden später war der Rechner perfekt. Zumindest theoretisch.

Die nächsten Wochen vergingen wie im Flug. Unzählige Mailwechsel und Stunden vor dem Rechner und am Telefon verkürzten die Zeit bis Weihnachten.

Der Cyberritter entpuppte sich als ein 18 jähriger Schüler namens Christian.

Christian hielt alle Zügel fest in seiner Hand. Sorgsam führte er eine Liste mit allen Zusagen der anderen User und suchte auch einen versierten Techniker in der Nähe von Eva, der sich bereit erklärte, aus den Einzelteilen einen neuen PC zu bauen. Manfred war Vater von 2 fast erwachsenen Söhnen und arbeitete in einer EDV-Firma als Systemadministrator.

Wochenlang klingelte der Postmann ständig bei ihm zu Hause und lieferte ein Paket nach dem anderen ab.

Und was nicht alles kam. Gehäuse, Speicher, Maus, Tastatur und jede Menge Computerspiele. Selbst der Betreiber der Internetseite hat etwas dazugesteuert.

Allerdings gab es auch ein Problem. Der Monitor, der eigentlich versprochen war, kam nicht.

Was also tun?

Manfred zögerte nicht lange und erzählte seinem Chef von dieser Aktion.

Dieser fand die Geschichte so unglaublich, dass er ihm helfen wollte und ihm einen neuen 17" Monitor spendierte.

So saß Manfred tagelang in seinem Arbeitszimmer wurde von seiner Familie kaum noch gesehen. Er schraubte, bastelte und programmierte, was das Zeug hielt.

Eva indessen war einfach nur glücklich.

Sie genoss die Vorweihnachtszeit mit Felix und wagte kaum zu hoffen, dass es wirklich wahr werden würde.

Am 21. Dezember klingelte abends das Telefon.

Manfred erzählte ihr überglücklich, dass es vollbracht sei, es allerdings ein Problem geben würde. Einige der User wollten nun doch etwas dafür haben, dass sie die Teile geschickt hatten.

Eva sackte in sich zusammen und traute sich kaum zu atmen.

"Wie viel?", fragte sie leise.

Manfred lachte herzlich ins Telefon.

"Nicht wie viel sondern eher "was" musst du fragen. Sie wünschen sich als Dankeschön ein Bild von Felix unter dem Weihnachtsbaum. Die Idee dazu hatte ich vor einer Weile schon und bat alle, mit dem Päckchen auch ein Bild von sich selbst zu schicken. Daraus habe ich eine Collage gebastelt, die es zu dem Computer dazugibt."

Und wieder liefen Eva Tränen übers Gesicht. Freudentränen.

Obwohl die Eifel total verschneit war und er 160 Kilometer entfernt von ihr wohnte, machte Manfred sich am Morgen des 23. Dezembers mit seiner Frau auf den Weg.

Eva konnte die halbe Nacht nicht schlafen und schmückte die Wohnung und den Weihnachtsbaum.

Süßer Tannenduft und leuchtende Kerzen hüllten das Wohnzimmer wunderschön und festlich ein.

Als Felix aufstand, begriff er die Welt nicht mehr. Weihnachtsbaumbeleuchtung einen Tag vor Heilig Abend?

Eva spannte ihn jedoch auf die Folter und erzählte ihm, dass doch Manfred mit dem neuen Prozessor kommen würde, um den dann in seinen alten Computer einzubauen.

Als es endlich klingelte, hielt Felix es kaum noch aus. Zu lange hatte er sich doch so darauf gefreut.

Eva ließ allerdings nicht locker und schickte ihn in sein Zimmer.

Als sie die Tür öffnete, fiel sie erst einmal Manfred um den Hals und konnte kaum die Tränen zurückhalten.

Gemeinsam stellten sie den Rechner im Wohnzimmer unter den Weihnachtsbaum und schlossen ihn an.

Als Felix dann endlich ins Zimmer durfte, glaubte er zu träumen.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf den PC und konnte nur noch leise fragen: "Ist das für mich?"

Die Freude konnte man nicht beschreiben, die in diesem Moment diesen kleinen Jungen beherrschte.

"Ist der wirklich für mich?", fragte er noch immer benommen.

Denn was er dort sah, übertraf alle seine Wünsche um Längen.

Dort strahlte unter ihrem Weihnachtsbaum ein 800er Duron mit 256 MB und einer 30 GB Festplatte.

Aber das war noch längst nicht alles. Ein nagelneues DVD-Laufwerk und ein Scanner war ebenso dabei, wie ein ganze Stapel von Computerspielen, Computersoftware und DVDs.

Felix´ Augen sprachen Bände und Eva schaute voller Dankbarkeit zu Manfred, der gerade seinen Fotoapparat zückte, um das ganz besondere Weihnachtsbild zu machen.

Draußen vor dem Fenster fielen leise die Schneeflocken und versprachen ein wunderschönes Weihnachtsfest.

Und Eva fing wieder an zu glauben....an Wunder.