Nur eine Mail

Zitternd halte ich das Blatt Papier in meiner Hand.

Ich liege auf dem Bett und habe die Augen geschlossen.

In mir brennt das Feuer der Traurigkeit. Tränen suchen sich ihren Weg über meine Haut.

Alles ist so weit weg. Nie habe ich es erlebt. Und doch sehe ich die Bilder vor mir.

Ein abgetrennter Kopf
fliegt verstört grinsend
durch die Luft.

Bohrt sich mir tief
in die Eingeweide und
raubt mir meine Erinnerungen an
das Leben, das ich lebte,
die Frau, die ich liebte,
das Kind, das ich zeugte und
niemals sah.

Mein Weinen wird heftiger.

Schluchzend winde ich mich in mein Kissen. Der Wahnsinn, die Trauer, das Leid und der Verlust in diesen Zeilen droht mein Herz zu zerquetschen.

Das Kind, das er zeugte und niemals sah....es tut so unendlich weh.

Mein Blut vermengt sich
mit der Erde um mich,
die ich zu verteidigen
angehalten war
und ich sehe: Ich habe versagt.

Nein!!! Nicht Du hast versagt.

Ich möchte Dich schütteln und anschreien, Dir diesen Irrsinn aus dem Kopf verbannen.

SIE waren es, die nicht imstande waren zu leben und aus Gründen, die SIE rechtfertigten, den Krieg befahlen.

Ich kann Dich sehen und möchte wegschauen. Ich ertrage es nicht, öffne meine Augen und doch lassen mich die Bilder nicht los.

Langsam, lautlos fließt Dein Blut auf die Erde, verfärbt den Tau des neuen Morgens tiefrot.

Wasser, der Quell des Lebens...

Versagt: Denn ich habe nichts getan
gegen den Krieg, den ich niemals wollte
und ich weiß: ich werde nicht der letzte sein.

Was habe ich jemals getan?

Damals, als die Mauer fiel...war ich zu klein.

Der Krieg im Iran....war zu weit weg.

Das Leid im Kosovo...war mir nicht so wichtig.

Das Sterben in Jerusalem...ging mich nichts an.

Was habe ICH jemals getan?

...Nichts...

Lautlos formen meine Lippen dieses Wort.

Weil ich das Glück hatte, nicht zum Sterben rekrutiert zu werden.

Und während ich sterbe,
schreibt mein Blut diese Zeilen
über das Schlachtfeld.

Ich flehe Dich an...hör auf!!!

Bitte hör auf. Ich kann nicht mehr. Ich halte das nicht aus.

Mein Herz verblutet in gläsernen Tränen über meinem Gesicht.

Der Krieg ist die Angst der Kleinen
und die Gleichgültigkeit der Großen.

Was würde ich darum geben, jetzt bei Dir zu sein. Dich festhalten, in Deine Augen sehen und Dir zeigen, dass nicht nur Du stirbst.

Die Gleichgültigkeit der Großen? Die Gleichgültigkeit aller...die Dich nicht sehen.

Und während ich gehe:

Ich küsse Dich, Frau
Ich küsse Dich, mein Kind

Deine Frau, Dein Kind...sie wissen nicht, was passiert. Halten sich an der Hoffnung fest, Dich wieder zu sehen, warten auf Dich und warten umsonst.

Was geht in ihnen vor, wenn sie irgendwann einen Brief in den Händen halten, in dem steht, dass es ihnen leid tut...gefallen bei der Ausübung seiner Pflicht.

Was denken sie, wenn sie die Fahne ihres Landes hoch oben in der Sonne wehen sehen?

Ich will es nicht wissen, nie erleben.

Es würde mich umbringen.

und: Ich küsse Dich, Feind.

Der Mensch, der die gleiche "Wahl" hatte wie Du. Gezwungen den zu töten, welcher sein Freund hätte sein können.

(Bei diesen Worten steht der Krieg auf, und verlässt unter dem Beifall der Toten und der Krüppel hilflos schweigend den Raum)

Der Krieg als Mensch. Gezeugt durch Macht und Habgier, genährt an der Brust von "Menschlichkeit".

Doch...wer tötet IHN?

Dann: Nichts...

Das Blatt Papier entgleitet meiner Hand.

Zusammengekrümmt weine ich lautlos vor mich hin.

Es war nur eine Mail.

Eine Mail mit einem Gedicht.